Tobias Huber

Form und Subjekt

Zu drei Zeichnungen von Pamela Rosenkranz*


Drei Mädchen, mit einem unkenntlichen Objekt in den Händen, nehmen den Raum der drei weissen Blätter ein. Sie fügen sich aus flüchtigen Linien, die keinen Umriss mehr zu bilden scheinen, zu einer Tuschzeichnung zusammen, in denen Objekt und Körper, die die Striche andeuten, ununterscheidbar werden. Pamela Rosenkranz’ Zeichnungen – drei Selbstportraits –, entgrenzen die kunstkontextuelle Determination des Selbstportraits und richten das Interesse nicht auf eine falsche Totalität des Körpers, sondern – durch das abstrakte Objekt – auf die Kontaktlinie, die zwischen dem Selbst des repräsentierten Körpers und dem äusserlichen Objekt eine Wucherung erzeugt. Im Raum, in dem Objekt und Körper ineinander übergehen, stellt sich die Frage nach einem Selbst, das wie eine Nahtstelle den gekrümmten und ausgefransten Körper mit einem nicht-organischen Aussen, zusammenfügt.


Wenn Derridas schreibt, „...wie man (die Kategorien des Subjekts) auch modifiziert, bewusst oder unbewusst affiziert – der ganze Verlauf ihrer Geschichte verweist auf die Substantialität einer von Zufälligkeiten unberührten Präsenz oder auf die Identität des Eigenen in der Präsenz des Selbstbezugs“**, konstituiert sich durch einen dekonstruktiven Moment, eine Substantialität, die nicht die des Subjekts ist, sondern als „objekthafter Kontrapunkt“ ein Überschuss, in dessen Leere sich das Selbst aufrechterhält. Insofern gibt es zwischen dem Körper und dem nicht-organischen Aussen eine Verschiebung, die ein Selbstbezug anzeigt, indem sich der Selbstbezug umkehrt zu einem Bezug auf ein Selbst, das als Objekt dieser Leere einen unendlichen Aufschub bedeutet. Der Selbstbezug verläuft auf einer Fluchtlinie, die sich auf das sich immer entziehende und verschiebende Objekt zubewegt, in dem das lacanische Objekt a als ein vom Körper ablösbares Partialobjekt oder eben Nicht-Partialobjekt zu erkennen ist.

Beschreibt das kleine a bekanntlich den kleingeschriebenen anderen (autre) – im Gegensatz zum grossgeschriebenen Anderen als das Irreduzible und Inkommensurable, so heisst das hier: Das Selbst ist das Andere. In der Beziehung zum Selbst als Objekt markiert dieses die subjektive Leerstelle und wird als Objekt das Subjekt in seiner Andersheit, welches durch die inhärente Subversion sich symbolischen Identifikationen und der dialektischen Koinzidenz mit der subjektiven Konsistenz verschliesst.


Es gibt nur noch ein Gewoge, in dem identitäre Punkte fortgespült werden und sich die Fluchtlinien des Selbstbezugs als unaufhörliche Bewegung des Überfliessens einzeichnen. Selbstbezug als unaufhörliche Bewegung meint, dass der Selbstbezug unendliche Bewegungen bewahrt, die im fortwährenden Austausch zu sich selbst zurückkehren, und die Substantialität des Subjekts die Substanzlosigkeit selbst ist.


Im Raum, in dem sich in der Zeichnung die Tuschlinien treffen, streifen und überschneiden, welche Körper und Objekte von der Oberfläche des Blattes abgrenzen, wird eine Dimension erfahrbar, auf der sich die Fluchtlinien des Selbstbezugs einzeichnen: die Virtualität der ontologischen Modalitäten als Aktualisierung der autopoietischen Konstitution des Subjekts. Im Moment, in dem Tusche und Papier ineinander übergehen und die drei Zeichnungen das Aussen ihrer weissen Ränder kontaktieren, gewinnt das Selbstportrait seinen flüchtigen Umriss in Form der Portraitierung des Formlosen selbst.


* Demonstration, 2006

** Jacques Derrida, Grammatologie, Frankfurt a.M, 1974, S.119